Donnerstag, 27. April 2006

Das Leben danach

Das Bild von Werbe-Gurus entspricht grauhaarigen Endfünfzigern, mit traditionellen schwarzgrauen Rollpullis. Auch wenn sie Falten tragen, wirken sie unglaublich jung, attraktiv, sie haben vom Leben aus Lust und Laune geprägte Lachfalten. Die sind ja immer sympathisch. Sie sehen nicht nur so aus wie Werbung, sondern sind sie leibhaftig. Sie gestikulieren AIDA und kritisieren den Verfall von Esthetik. Das dumme ist nur, die endfünfziger sind meist Anfang vierzig. Damit verschiebt sich einiges.
Man kann fast glauben, das alle Werber nicht älter werden als vierzig. Nein, man sollte wissen: als Werber wird man nicht älter als Anfang vierzig.
Es bleibt die Frage, was geschieht mit dem gemeinen Werber? Liegen sie dann tatsächlich an der CopaCabana und schlürfen Cocktails, als hätten sie, schneller als jede andere Berufsklasse, doppelt so viel gearbeitet und doppelt so schnell ihren Lebensabend verdient.
Das was der Realität entspricht, hört sich jedoch anders an. Demnach wandern abgelegte Art-, Creativ- und Textdirektoren nach ihrer altersbedingten Entlassung direkt in die Klapper. Dort schlucken sie Antidepressiva-Cocktails, im Grün des Parks um die Heilanstalt.
Werber müssen immer ihrer Zeit voraus sein, damit sie das dumpe Volk stetig überraschen. Diese Spirale ist unaufhaltsam, und nach dem Ausscheiden aus der Kuschelagentur, ist die Pirouette in die Realität vergleichbar mit einem Köpfer in einen ungefüllten Swimmingpool. So manch einer schafft es, sich am Sprungbrett des Marketings festzugrallen und hüpfen auf die sichere Kundenseite. Dort senieren sie über die verrückten Werberjahre bis es nervt.
Klar, es gibt auch jene, die ihre eigene Agentur kreieren. Die dann zu denen werden, über die sie die Jahre zuvor gemeckert haben, welchen Stuss man als Untergebener umzusetzen hat.
Nach all der Schwarzmalerei hier noch einen Hoffnungsschimmer: Es gibt sie trotzdem, die Berufung danach. Es gibt sie, die Lücken die auch von Exwerbern gefüllt werden können. Nahe der Werbung, und doch weit genug entfernt um mit gebührendem Abstand den neuen Jungen Werben zuschauen zu können, ohne Das-kenn-ich-schon-Symthrom.
Ein Tip dafür: fangt mit dreissig an zu schauen, was ihr ab vierzig machen wollt, damit ihr auch fünfzig werdet um mit sechszig euren Enkeln zu erzählen: mit zwanzig war ich Werber.

Sucht Nr.4.: Achtung, Explosionsgefahr: Tabletten- meets Sexsucht

Auf eine ganz besondere Werbespezies trafen wir eines Frühjahrs und lernten mit ihr eine seltene, aber durchaus interessante Sucht ausgerechnet auf einem Stressklimax kennen.
Die Dame hatte so eine furchtbare Branchenvergangenheit, dass sie den Tag
nur dank einer täglichen, großzügigen Smartiepackungseinheit Tabletten überstand.
Wir stellten anfangs einen verwässerten Blick und unberechenbare Stimmungsschwankungen fest: es gab nur hysterisches, von fäkalhumorgezeichnetes Dauergekicher oder Tobsuchtsattacken gegenüber Gespenstern.
Sie hörte aus Jambaklingeltönen Witze heraus und sah in Flipcharts feindliche Kollegen. Mit ihrer grenzenlosen Fantasie sahen wir ihre Zukunft vielmehr als Leiterin einer anthroposophischen Kindertagesstätte oder als Grundschullehrerin.
Keinesfalls aber in der Werbung, keinesfalls in der Mitarbeit an unserem Kampagnen, in denen Kreation stets durch einen profunden strategischen Unterbau Restrikitionen erfährt.
Die reine Tablettensucht und ihre Auswirkungen wären für uns noch prima erträglich, wäre da nicht die teuflische Verbindung mit der Sexsucht gewesen.
Diese machte sich in den übersexualisierten Kampagnenideen deutlich, und an ihrem Drang danach gut aussehenden Kollegen wie uns das Leben schwer zu machen.
Nach einander sperrte sie uns in Kämmerlein und startete einen verbalen Bürgerkrieg, nahm uns Sekunden später mit teuflischem Gelächter in den Arm um uns dann Stunden mit Louis Vuitton-Logos den Rücken wundzukratzen.
Als besonders besorgniserregend mussten wir auch die Tatsache einstufen, dass sie Menschen jeden Tag neu kennenlernte. Schön für sie, schwierig für uns. Sie konnte ganze Fotosessions mit einem Fotografen in Kuba absitzen und den selben Fotografen für die nächste Session zwei Wochen später auf Mallorca wieder neu kennenlernen.
Trotz regem Interesse unsererseits an ihrem doch speziellen Verhalten wurde
uns das Leben mit ihr auf Dauer zu anstrengend. Wir selbst verfielen zeitweise gewissen, aber gesünderen Süchten , eine Melange aus Stress und Staunen ließ uns nachts nicht mehr schlafen.
Wir nutzen Auswirkungen ihrer Sucht - die Vergesslichkeit und den Realitätsverlust - und schafften es, die Dame unbemerkt in einer anderen Agentur unterzubringen. Man sagt sich, sie würde neue Kollegen immer noch mit unseren Namen ansprechen und würde nun dank eines Gegenmittels ohne Schlaf durcharbeiten. Ihre Sexsucht hat sie nun aufgrund einer Beziehung mit einem Aktenschrank im Griff. Wir sind erleichtert.

Adclinic - das Einmaleins der neuen Süchte
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